Aufruf

Aufruf

Jüdisches Leben schützen –Judenhass und Rassismus bekämpfen!

Mahnwache gegen Antisemitismus am 7.12.2023 um 18:00 Uhr

(Brunnenstr. 176 / Ecke Veteranenstr. 28, am Weinbergspark)

 

Antisemitismus und Rassismus sind eine akute Gefahr für Jüdinnen und Juden, Angehörige anderer Minderheiten und für unsere pluralistische Gesellschaft als Ganzes. Sie stellen die größte Bedrohung für unsere Demokratie und den Zusammenhalt in Europa dar! Aufgrund der Geschichte des Rechtsterrorismus und rassistischer Gewalt in Deutschland müssen wir Antisemitismus und Rassismus zusammendenken. Als Mahnwachen legen wir die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zugrunde. Sie hat den Vorteil, dass sie auch israelbezogenen Antisemitismus erfasst und in den Mittelpunkt stellt, wie jüdische Menschen wahrgenommen werden. Antisemitismus ist dabei keine Variante von Rassismus, sondern ein eigenständiges Phänomen mit besondere Merkmalen: So wird ,Juden’ Macht zugeschrieben, worauf Verschwörungsmythen aufbauen. Denn Antisemitismus ist nicht nur eine Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden, sondern auch ein Modell der Welterklärung.

 

Beim verheerenden Überfall der Terror-Organisation Hamas am 7. Oktober auf Israel wurden mehr als 1200 Menschen brutal gefoltert, vergewaltigt, ermordet, und verstümmelt, darunter viele Kinder, Frauen und Shoah-Überlebende. Ganze Familien wurden ausgelöscht. Zahlreiche Bürger:innen anderer Staaten, darunter auch Wanderarbeiter:innen aus Thailand und Nepal, wurden ermordet und entführt. In der Folge nahmen antisemitische Angriffe weltweit zu – in der Nacht vom 17. zum 18. Oktober wurde auch ein Brandanschlag auf die Synagoge der  Kahal Adass Jisroel e.V.  Gemeinde in der Brunnenstraße verübt.

 

Am frühen Nachmittag des 18. Oktober organisierten wir deshalb die erste Mahnwache gegen Antisemitismus an der Synagoge. Schon vorher solidarisierten wir uns – nach Gewaltaufrufen der Hamas – mit jüdischen Bürgerinnen und Bürgern und versammelten gemeinsam mit vielen anderen Menschen vor der Synagoge am Fraenkelufer.

 

 

In der Brunnenstrasse stand zunächst nur eine Person, danach kamen immer mehr Menschen dazu – die Initiative „Tägliche Mahnwachen gegen Antisemitismus“ entstand. Gemeinsam mit dem „Omas gegen Rechts Berlin / Deutschland-Bündnis“ hielten wir bis zum Jahrestag der Novemberpogrome am 9. November eine Mahnwache am Weinbergspark. Dazu kam jeden weiteren Freitag eine Mahnwache an der Synagoge Brunnenstraße hinzu, um die Nachbarschaftsinitiative dort zu unterstützen.

 

Bei der Mahnwache gegen Antisemitismus am Weinbergspark am 7. Dezember ab 18:00 Uhr sprechen u.a.:

İsmet Tekin, Überlebender des antisemitischen und rassistischen Anschlags auf die Synagoge und den Kiez-Döner von Halle vom Oktober 2019, TEKİEZ- Raum des Erinnerns und der Solidarität,

Shay (Shako) David, geb. in Israel, Nachkomme von Shoah-Überlebenden aus Bulgarien, Politikberatern u.a. in der Knesset, Geschäftsführer der „Israelischen Vereinigung der Freundinnen und Freunde von Stefan Zweig“,

Dr. Antonia Schmid, Medien-und Politikwissenschaftlerin und seit zwei Jahrzehnten wissenschaftlich als auch politisch im Bereich Antisemitismusbekämpfung aktiv,

Kamil Majchrzak, Initiator der Mahnwachen gegen Antisemitismus, Vertreter des Polnischen Verbands Ehemaliger Politischer Häftlinge der NS-Gefängnisse und Konzentrationslager (PZBWPHWiOK).

Für die musikalische Unterstützung danken wir sehr herzlich den engagierten Schüler:innen des Musikgymnasium Carl Philipp Emanuel Bach

Das antisemitische Massaker der Hamas und das proklamierte Ziel der Islamisten, jüdisches Leben auszulöschen, richtet sich gezielt gegen Jüdinnen und Juden weltweit und die Existenz des Staates Israel. In seiner eliminatorischen Praxis zielt diese genozidale Ideologie zugleich darauf, jede pluralistische und von Vielfalt geprägte Gesellschaft zu zerstören, ebenso wie die Bedingungen einer dem Frieden und der Gleichberechtigung verpflichteten internationalen Gemeinschaft. Deshalb richtet sich jeder antisemitische Angriff immer auch gegen das friedliche Zusammenleben von uns allen. Judenhass ist Menschenhass!

Wie sehr Judenhass gerade wieder erstarkt, macht sichtbar, wie brüchig unsere Erinnerungskultur ist. Sie wurde hart erkämpft und gehört keineswegs zur kulturellen „Grundausstattung“ unserer Gesellschaft – genauso wenig wie der Kampf gegen Antiziganismus oder Rassismus.

Antisemitismus und Rassismus werden vielfach politisch instrumentalisiert, sowohl von rechts als auch von links und aus der Mitte der Gesellschaft. Versetzt mit vermeintlich antikolonialen Bezügen wird die mühsam von Überlebenden der Shoah, NS-Verfolgten und ihren Nachkommen erkämpfte Erinnerungskultur angegriffen. Bereits vor dem Überfall der Hamas auf Israel verzeichneten viele KZ-Gedenkstätten einen Anstieg antisemitischer Schmierereien und rechtsextremer Übergriffe. Im Windschatten der islamistischen Terror-Verherrlichung kann die extreme Rechte ihre Angriffe auf die Erinnerung fortsetzen.

Dabei entstehen Hass-Allianzen, die sich aus antiimperialistischen wie rechtsextremistischen und populistischen Ideologemen sowie Verschwörungserzählungen speisen. Ob jihadistisch, links, rechts oder aus der Mitte heraus, Antisemitismus ist wieder einmal der Kitt, der sie zusammenhält.

Dass Teile der Gesellschaft sich bzw. Deutschland von einem vermeintlichen „Schuldkult“ befreien wollen, zeigt, wie anschlussfähig israelbezogener Antisemitismus ist. So riefen Demonstrant:innen am 18. Oktober, dem Tag des Brandanschlages, vor dem Auswärtigen Amt: „Free Palestine from German guilt“. Solche Parolen greifen das Gedenken an die Opfer der Shoah an und relativieren es, um gegen den Staat Israel und Juden als solche zu agitieren. Gleichzeitig ist der Gegenwind gegen demokratisches Engagement ebenso heftig wie bedrohlich. Das zeigt die Zerstörung und der Brandanschlag auf die jüdische Schaukasten-Ausstellung „Sie waren Nachbarn“ in Berlin-Moabit  oder Angriffe auf israelsolidarische Gruppen und Orte, wie die Kneipe „Bajszel“ in Neukölln. Auch Plakate der am 7. Oktober Entführten werden vielerorts immer wieder abgerissen. Diese Angriffe gefährden zum einen Menschen, zum anderen unsere – vor allem von nicht-staatlichen Akteuer:innen – erarbeitete Erinnerungs- und Gedenkkultur. Wir steuern auf die von Rechtsextremen herbeigesehnte „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ zu. Dies gilt es gemeinsam zu verhindern!

Der antisemitische Brandanschlag auf die Synagoge in der Brunnenstraße steht in der Kontinuität der antisemitischen und rassistischen Gewaltgeschichte in Deutschland. Allein zwischen 1979 und 1988 ermordeten deutsche Rechtsextremisten 27 Menschen in West-Deutschland, davon 13 allein beim Münchener Oktoberfest-Attentat.

Diese Geschichte reicht nach der Shoah von den Attentaten ehemaliger Nazis auf Shoah-Überlebende im Veit-Harlan-Prozess und Antifaschist:innen in den 1950 und 60er Jahren oder von linken Antisemiten auf das jüdische Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße (1969) über den Brandanschlag auf das jüdische Altenheim in München (1970) und die vietnamesischen Flüchtlinge Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân in Hamburg (1980); die Mordanschläge der Wehrsportgruppe Hoffmann auf den Antifaschisten und Shoah-Überlebenden Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in Erlangen und das Oktoberfestattentat (1980); die unzähligen rassistischen Morde und Gewalttaten der „Baseballschlägerjahre“ der 1990er, wie die tagelangen Pogrome gegen Vertragsarbeiter:innen in Hoyerswerda (1991); der Mord an der polnisch-jüdischen Shoah-Überlebenden Blanka Żmigród in Frankfurt (Main) (1992) und tagelange Pogrome gegen vietnamesische Bürger:innen sowie Brandanschläge in Rostock-Lichtenhagen (1992); die Morde von Mölln (1992), bei denen die Kinder Ayse Yilmaz (14), Yeliz Arslan (10) und ihre Großmutter Bahide Arslan (51) ermordet und zahlreiche weitere schwer verletzt wurden sowie in Solingen (1993), bei dem Saime Genç  (4), Hülya Genç (9), Hatice Genç  (19), Gürsün İnce (27) und Gülüstan Öztürk (12) starben und zahlreiche weitere Opfer bleibende Verletzungen erlitten; die Mord- und Bombenanschläge des NSU an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und die Polizistin Michèle Kiesewetter (2000-2011); das antisemitische, rassistische, frauen- und behindertenfeindliche Attentat auf die Synagoge in Halle und den Kiez-Döner und die Ermordung von Jana Lange und Kevin Schwarze (2019); der rechtsextreme Mord an Walter Lübcke (2019), die rassistischen und antiziganistischen Morde an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov in Hanau (2020); das antimuslimisch-rassistische und antiziganistische OEZ-Attentat in München (2016) und die Ermordung von Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin Dayıcık, Roberto Rafael, Sabine S., Selçuk Kılıç und Sevda Dağ.

Diese und viele weitere bislang nicht anerkannte Morde sind geprägt vom gleichen rassistischen, antisemitischen oder antiziganistischem Menschenhass. Einem Hass, der genährt wird von den gleichen rassistischen Ideologien der Ungleichwertigkeit. Die Geschichte des NSU-Komplexes steht dabei exemplarisch für das präzedenzlose Versagen staatlicher Behörden nach 1945 gegen Rechtsextremismus gleichermaßen wie für das bisherige Versagen der demokratischen Gesellschaft, die Kontinuität dieser Gewaltgeschichte zu durchbrechen.

Gerade deshalb müssen im Kontext der jüngsten antisemitischen Übergriffe auf jüdische Bürger:innen Antisemitismus und Rassismus in Deutschland zusammen gedacht werden, statt sie gegeneinander auszuspielen! Die Kontinuität von Antisemitismus und Rassismus im postnationalsozialistischen Deutschland kann sonst nicht begriffen werden.

Die Aufarbeitung dieser Morde war vielfach nicht nur von zahlreichen Ermittlungspannen, sondern vor allem auch Verharmlosungen, Verleumdungen oder gezielten Falschinformationen und der Verdächtigung der Opfer selbst begleitet. Politische Motive wurden von den Behörden oft ausgeblendet und erst durch die Aufklärungsarbeit der Überlebenden und Betroffenen selbst sowie Journalist:innen anerkannt.

Rassismus und Judenhass stehen in fundamentalem Widerspruch zu einer vielfältigen demokratischen Gesellschaft. Die Demokratie kann sich selbst nicht verteidigen. Es liegt an uns, gemeinsam gegen Antisemitismus und Rassismus und für die Bewahrung einer pluralen Gesellschaft einzustehen, die Gleichheit und Teilhabe gewährleistet. Wir müssen zugleich die mühsam von unten erkämpfte Erinnerungs- und Gedenkkultur vor Angriffen von rechts, links oder aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus gleichermaßen verteidigen und den Forderungen nach einem Schlussstrich entgegentreten.

Rassismus und Antisemitismus wurden jahrzehntelang verharmlost und auf angebliche Einzelfälle von Einzeltätern oder als Problem bestimmter Gruppen reduziert und ihr gesamt-gesellschaftlicher Entstehungs-Kontext marginalisiert. In unserer Gesellschaft sind aber beide historisch gewachsen und tief verwurzelt. Deshalb müssen wir sie auch gemeinsam bekämpfen.

 

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